· 

Der Goldsucher

timcgundert @ pexels.com
timcgundert @ pexels.com

Ein Mann steht einsam auf einem Hügel, der von keinem Baum bewachsen, keinem Busch gesäumt ist. Er setzt sich nieder, um über einer Frage zu brüten. Eine Frage, die selbst in tausend weitere zerspringt und doch nach einer Antwort verlangt. Eine Wahrheit, die darunter liegt. Aber warum verlangt er? Er ist der Wissbegierige, der Goldsucher. Ein Schatzjäger der Ehrlichkeit. Warum, fragt er sich. Ohne Wissen ist er der Machtlose, der Nutzlose, der Beitragslose. Ein Schmerz sticht ihm in den Unterleib, seinen Rücken, sein Herz und Kopf und Verstand. Es zerfrisst ihn. Getrieben von dem sinnlosen Streben alles zu wissen. Wie kann er nur? Wie wagt er es? Er kann nicht, darf nicht. Widersetzt sich. Ein Schmerz sticht ihm in den Oberkörper.

Und so, mit schmerzender Brust, beginnt er zu graben. Er weiß nicht, wonach er sucht, ist doch sich selbst verpflichtet weiter zu graben, so hat er doch bereits viele Löcher in die Erde geschlagen in seiner Zeit, noch mehr Münzen aus Gold gefunden, doch wie es scheint nicht die, die es zu finden bedurfte. Er wird es nicht wissen, bis sie zwischen seinen Fingern tanzt. Ein Schatten legt sich über ihn. Was, wenn er selbstvergessen, unbeirrt, fanatisch auf der Suche die Münze längst in seinen Taschen trägt? Im Wahn durchwühlt er diese, prüft jede einzelne auf ihre Echtheit, um sie dann achtlos fallen zu lassen, da sie nun keinen Wert mehr besitzt, nicht ist, wonach er sucht. Weiß er das? Er wird wissen. Bis dahin ist er der Machtlose, Suchende. Ein Schmerz durchfährt seine Brust.

Eine Frage, die selbst in tausend weitere Scherben in seinem Kopf zerspringt.

 

Aber warum will er es wissen? Er ist die Neugierde, der Goldsucher. Er sticht mit dem Spaten zu. Gold blitzt in der Sonne. Mit bloßen, von Dreck besudelten, von Narben und Wetter gegerbten Fingern, Schmutz unter den eingerissenen Nägeln, gräbt er nach der Münze und zieht sie aus der Erde. Eine weitere, die er seiner Sammlung hinzufügen kann. Erst jetzt stellen sich ihm die Fragen: Gräbt er an der richtigen Stelle? Hatte er nicht eine Karte? Er hatte es vergessen. Seine Brust... Eine Wolke zieht vor die Sonne. Er muss graben, muss Erfolg haben, darf nicht aufgeben, muss sich sich selbst beweisen. Kann nicht an den Zweifel verlieren. Der Himmel über dem immer tiefer werdenden Loch klart auf.

Gold blitzt aus schwarzer Erde hervor. Doch er zweifelt an der Authentizität. Wahrheit oder Lüge? Wahrheit oder Ego? Es war eine Weile her, dass er sich selbst einen Grund gegeben hatte, Erkenntnis als wahr hinzunehmen. War diese nicht nur die Reflexion durch den Spiegel im Verstand? War es nur ein verzerrtes Bild, das ich mir vortäuschte, um ihn selbst vor Schmerz zu bewahren? Pein durchzuckt seine Brust... am Boden liegt ein Edelstein, doch ein Schatten legte sich über die Grube, in der er steht, und so sieht er den Schatz nicht, der zu seinen Füßen ruht. Die Scherben in seinem Kopf stechen unerbittlich, treiben ihn unermüdlich zum Weitergraben. Er glaubt, er sei der Goldsucher. Eine weitere, nun wertlose Münze, deren Geschwister bereits aus seinen übervollen Taschen fließen. Doch war sie echt? Er glaubt es. Doch wie konnte er - der, der nicht weiß - an diese Wahrheit glauben?

 

Er blickt zu Boden und erkennt ihn, den Edelstein. Er hebt ihn auf, prüft ihn skeptisch, mit geübtem Blick. Er ist verdreckt, doch makellos, wunderschön, bricht er das Licht der Sonne. Sein Blick nun schärfer als zuvor, richtet er den Kopf gen Himmel. Schweiß tropft ihm von der gerunzelten Stirn. Sein Gesicht entspannt sich, der Schmerz ist vergangen. Nach kurzer Rast macht er sich guter Dinge wieder an die Arbeit. Er glaubt an ein Ideal, so gut er es in seinem verzerrten Verstand erdenken konnte, an die Wahrheit, so gut er sie zu erkennen vermochte, an die Ehrlichkeit, die wieder zurückkommen würde, an das Gute und die Hoffnung, doch war er sich auch der Rückseite all dieser Münzen bewusst. Konnte er so glauben? Seine Brust, sein Körper, die Scherben in seinem Kopf... doch es war das Beste, was er hatte, also hielt er daran fest, wie an seiner Schaufel, und gräbt und gräbt und gräbt. Er war allein und war es schon seit langer Zeit, ein einsamer Verstand unter vielen. Er bezweifelte, dass sich das in naher Zukunft ändern würde. Nur der Schatten, der ihm so oft über die Schulter blickte, war sein stetiger Begleiter. Er war blind gewesen auf der Suche nach seinem Ziel. Hatte links und rechts die Menschen beiseite gestoßen. War auf Füße getreten und hatte Hände geschüttelt. Er schätzte, die Einsamkeit hatte ihn verändert und die Zweifel, die er so bitter hasste und verachtete, erst aufgebaut. Wenn er allein war, gab es einen Grund, hatte er es nicht verdient? Doch, das hatte er. Nein, dachte er und sah wieder Gold aufblitzen und doch schmerzten ihm Brust und Körper von den eisigen Blicken seines Begleiters, die ihm in den Rücken stachen. Nichtsdestotrotz war er der Goldsucher. Er musste graben.

 

Aus der Grube die er schuf wuchs bald ein Tunnel, bald ein dicht verzweigtes Geäst, ein Labyrinth. Seine Schaufel schon längst abgenutzt, gräbt er weiter, immer tiefer in die Erde. Schon hat er vergessen, wie die Luft schmeckt, wie Bäume flüstern, wie Blumen riechen und sich die Sonne warm, wie die Hand einer Geliebten auf die Haut legt. Was würde er nur geben, sich daran erinnern zu können – dieses Gefühl, er kann den Namen nicht nennen, weiß einzig, dass es auch einmal um mehr ging, als um ihn selbst.

Der Spaten zerspaltet sich in seinen Händen. Holz birst, Eisen splittert. Er schlägt mit der Hand gegen Stein. Knochen brechen. Aus seiner Kehle bricht ein einsamer Schrei hervor, der nie gehört werden wird. Er hatte alles verloren, das, was jeder hat, und jetzt auch ihn, seinen ewigen Begleiter. Vom Wahn getrieben, in tausend verworrenen Gängen der Dunkelheit, in Jahren der Einsamkeit. Hat nun sich selbst verloren. Er war sein eigener Gegenspieler, der Feind, der Freund, links und rechts. Er weiß er muss die Schmerzen stoppen, sein Herz wird schwach, und weiß, er muss graben. In der Gier nach mehr. Es hat ihn weit und weiter gebracht und noch weiter, wenn er gräbt, aber um welchen Preis? Sein Herz zerfetzt, sein Verstand verloren, sein Körper nicht sein, was sonst könnte es nehmen?

 

Silber blitzt auf. Er bückt sich, sein Rücken von Jahren des Grabens bereits gekrümmt. Er hat sich selbst verkrüppelt, eine Katharsis durch Schmerz, so hoffte er. Silber blitzt ein Schlüssel. Eine Kiste. Klein und unscheinbar. Schwarzes Holz in schwarzer Erde, mit goldenen, verspielten Verzierungen. Ein roter Stein in der Mitte, eingefasst von Fingern aus Gold.

Eine versteckte Kiste, eine Schatulle der Geheimnisse, liegt nun vor ihm zu öffnen. Aber nicht jetzt. Er hat seine Seele zu lange gequält, sie ist noch nicht so groß, wie sie sein könnte. Er braucht noch mehr Wissen. Es könnte mehr sein, er könnte noch Berge versetzen, doch seine Schaufel war zerbrochen. Seine Hände nicht! Er musste einfach nur weiter graben und würde sich nicht mehr vor der Antwort dieser Kiste scheuen. Er könnte stärker werden, besser, könnte im Reichtum ertrinken.

 

Das war es! Er beginnt zu raten, sich noch weiter in dem selbst geschaffenen Labyrinth zu verlieren, jedem der Tunnel bis an ihr bitteres Ende zu folgen, hier und dort die Tunnel noch ein wenig auszubauen, weiter graben, wo zu graben ist. Seine Finger sind dreckig, blutig, aufgerissen. Doch er weiß, dass er seine Wahrheit am Ende einer dieser Tunnel finden würde. Dann könnte er seine Kiste öffnen, wenn er diese Wahrheit finden würde. Dann könnte er richten, was zu richten war und selbstverschuldet zerstört worden war. Konnte er das noch richten? War es noch nicht zu spät? Ein Schatten legt sich in der Dunkelheit über ihn. Doch, natürlich. Er musste nur weiter graben. Die Box war das wertvollste seines Besitzes, ein Fels in den Meeren der Zeit, konnte er sich doch an sie erinnern. Die Manifestation eines Déjà-vu. Doch einen materiellen Wert hatte sie nicht. War sogar der Grund seiner Angst. Sie könnte ihm die Antwort geben, die er so bitter verlangt, doch würde er es glauben? Würde er glauben, dass seine Seele bereits von Beginn an verdorben und verdreckt wie seine Finger war?

 

Er musste raus. Raus aus der Tiefe, der Dunkelheit, der Verzweiflung. Seine Hände verarzten, das wäre ein Anfang. Doch er hat sich zu lange verlaufen in dem selbst geschaffenen Labyrinth, sich selbst verloren, war nicht Theseus, hatte keine Ariadne oder ihren Faden. Nur eine Möglichkeit bleibt ihm. Eine hoffnungslose Idee. Licht, das hatte er schon lange nicht erblickt. Sollte er nicht versuchen zurückzukehren? Stumm steht er da, während er über dieser Frage brütet. Er sollte nach oben graben und hoffen. Doch seine Schaufel ist zerbrochen, seine Finger verletzt. Wenn er nur lange genug mit der rechten Hand am Tunnel entlang fahren würde, müsste er den Ausweg finden.

 

Mit der Zeit setzen sich die Scherben in seinem Kopf zusammen. Seinen ständigen Begleiter, den Schatten, hat er seit geraumer Zeit nicht gesehen. Auf dem Weg liegen vereinzelt Scherben, die er vor langer Zeit dort liegen ließ. Er hebt sie auf. Ihr Wert übersteigt den der Münzen. Er nimmt jede einzelne und fügt sie zu einem Bild zusammen, eine Scheibe, ein Spiegel. Ein Spiegel, den er lose auf dem verbogenen Metallstück seines zerstörten Spatens balanciert. Immer besser erkennt er sein eigenes Gesicht durch das zerbrochene Glas. Es ist verdreckt, schwarz, vernarbt.

Unbeirrt ist sein Gang. Hier und dort hebt er einen Edelstein auf. Die Kiste ist immer noch unter seinen Arm geklemmt. Er kann fast die Luft schmecken, die Bäume hören, die Wärme spüren. Beginnt zu rennen, stolpert, fällt nieder, steht auf, rennt weiter. Kann das Licht sehen, die Bäume hören, das Gras riechen. Der Schmerz in seiner Brust, seinem Körper ist längst verschwunden. Der Schatten über ihm, nicht mehr aufgetaucht. Er stolpert ins Freie und hält abrupt an. Die Arme von sich gestreckt, brüllt er aus Erleichterung. Die Vögel antworten.

 

Dann nimmt er den Schlüssel und öffnet die Box. Zu lange hatte er Angst, was er dort finden würde. Das Gute oder Schlechte, es war ihm egal, er wusste, er würde glauben, was richtig war.

 

Und in ihr fand er nichts. Sie war leer. Er lacht und steht von dem Hügel auf, auf dem kein Baum wurzelt und keine Büsche wachsen.

 

Eine Frage, die ihn beschäftigte. Eine, die selbst in tausend weitere zerspringt: Wer ist er?

Kommentar schreiben

Kommentare: 0