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Der Wald - Teil 2

Paul Bersiner @ DespairedDemiurge
Paul Bersiner @ DespairedDemiurge

In den Wald hinein


Von dem Wald ging eine unnatürliche Schwärze aus, die sich sogar über den eigenen Schatten hinaus streckte. Die Baumkronen waren zwar nicht hoch, doch hingen sie weit über ihre Stämme hinaus in die Prärie. Die Stämme und deren Wurzeln, das sah er schon von Weitem, waren verkrüppelt, knorrig und ähnlich wie die Häuser des Dorfes, die aus dem Holz von diesen gebaut sein mussten, krumm und in alle Richtungen ausufernd. Die Ranken von giftigem Efeu, die an dem dichten Wurzelgeflecht hinaufwuchsen, zeichneten die Finsternis nach wie ein düsteres Ölgemälde. Es war ein Anblick, der eine tiefe Melancholie in ihm auslöste. Er glaubte noch nie in seinem Leben ein so sattes Dunkelgrün gesehen zu haben. Es war auf eine hypnotische Art anziehend und so tief, dass der sich ihm eröffnende Pfad einem gefräßigen Rachen glich, bereit ihn zu verschlucken.

 

Er stockte. Seine Reise bisher war nur von wenigen Hindernissen gespickt gewesen. Natürlich war die Wüste eine Herausforderung gewesen, doch hatte es dort nie eine direkte Bedrohung auf sein Leben gegeben. Die letzte Stadt, in der er war bevor die Wüste herausgefordert hatte, hatte ihn warmherzig begrüßt, mit einem Federbett, viel Alkohol und Sarah, die beides für einige Nächte mit ihm geteilt hatte. Er hatte sie im dortigen Saloon getroffen, viel mit ihr geredet und Eines hatte zum Anderen geführt. Doch sie hatte die Lücke in seinem Herzen nicht füllen können. Auch sein Abschied aus der Heimat war leicht gewesen. Er hatte nicht viel gehabt, was ihn dort hielt, keine Familie und kaum Freunde. Seine Eltern waren beide jung gestorben.

 

Doch als seine Verlobte Elizabeth damals Selbstmord begangen hatte, hielt ihn nichts mehr dort; sie war immer schon zerbrechlich gewesen, anfällig für düstere Gedanken. Mit der Zeit war es immer schlimmer und nicht besser geworden und ganz gleich womit Bill ihre Stimmung aufzuhellen versuchte, hatte sie keine Freude mehr empfinden können. Er war am Tag darauf mit roten, verklebten Augen und dem übelsten Kater, den er jemals gehabt hatte, aufgewacht und wusste, dass er fort musste. Ohne Ziel, ohne Plan, nur mit dem brennenden Bedürfnis endlich diese Stadt zu verlassen und einfach immer weiter zu ziehen, möglichst weit weg. Das Einzige, was er in seinem von Alkohol betäubten Traum gesehen hatte, war Elizabeth auf einem steinernen Kliff am tosenden Meer. Das Haus hatte er wenig später verkauft und sich von dem Geld einen Maulesel und Proviant gekauft. Er reiste weiter, einfach seinem Gefühl nach. Seit geraumer Zeit trieb ihm sein Bauchgefühl immer weiter ostwärts.

 

Er gab sich einen Ruck. Rein in den Wald. Doch bei diesem Gedanken stellten sich seine Nackenhaare auf. Er wusste, dies war sein Weg, doch seine Beine wollten sich nicht bewegen. Normalerweise war es sein Bauch, der ihn vor etwas warnte, nun war er jedoch still. Sein Kopf dagegen schien ihn zum Hierbleiben zu drängen. War er nicht die letzten zwanzig Minuten wie zu Stein erstarrt vor dem Weg in die Dunkelheit gestanden? Doch sein Bauch drängte ihn voran. Vielleicht würde er Elizabeth wiedersehen? Wer wusste schon, was für Wunder in dieser Welt möglich waren, wenn es verfluchte Indianerschätze und Wölfe von der Größe eines Mannes gab?

 

Er hatte Fantastisches gehört: verfluchte Schätze, unheilbare Krankheiten, die vom einen auf den anderen Tag verschwanden und Tote, die wieder zu atmen begannen. Und so schritt er voran, voll von Hoffnung und trotz der Warnungen, die ihm Joe und Rosie vor dem Abschied gegeben hatten, trotz seinem Verstand, der ihn von diesen Bäumen fernhalten wollte. Seinem Herz folgend wurde er vom Wald verschluckt.

 

***

 

Die Luft wurde bereits mit dem ersten Schritt in den nach Laub riechenden Schlund kühler. Das Licht fiel spärlich durch die Wipfel der Bäume, auch wenn er ahnte, dass sich das bald ändern würde. Der Weg, dem er folgte, war nicht befestigt, aber von den Wenigen, die vor ihm gekommen waren, breit ausgetreten und zog sich wie eine Schlange durch das Wurzellabyrinth. Die Kompassnadel zeigte stur geradeaus in Richtung des Pfades. Auch sein Verstand hatte sich mittlerweile wieder beruhigt. Nur die Mücken, kleine schwarze Punkte in der Luft, waren eine Plage. Immer wieder kamen lästige, kleinere Schwärme von ihnen in seinen Weg. Er versuchte sie zu verscheuchen, doch die schiere Zahl hinderte ihn daran, effektiv etwas gegen sie auszurichten. Nach einer gewissen Zeit stellte sich bei ihm jedoch eine Gleichgültigkeit gegenüber den Stichen ein. Nur die größeren Moskitos und Schnaken wischte er von der nackten Haut. Seinen Mantel hatte er in seinen Rucksack gestopft. Noch war es warm genug um nur Hemd und Hose zu tragen.

 

So lief er einige Zeit dem Weg nach. Er achtete darauf mit seinen schweren Stiefeln nicht auf heruntergefallene Äste zu treten, was sich aber oft kaum vermeiden ließ. Im Moment glaubte er zwar nicht, dass er Raubtiere anlocken könnte, doch wollte er es lieber nicht darauf anlegen. Auch sich möglichst schnell und lautlos fortzubewegen übte er, indem er nur auf den Fußspitzen lief und den Fuß dann von dem großen Zeh auf den Ballen abrollte. Rennen war das zwar nicht, aber mit etwas Übung konnte er eine größere Distanz zurücklegen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Außerdem vertrieb es die Zeit.

 

Der Weg war zu einem Trampelpfad geschrumpft, der sich in immer gleichen Mustern durch den Wald zog. Hoch, runter, dann nach links, einige Hundert Meter gerade aus, wieder rechts. Und dann alles wieder von vorne. Mit der Zeit bekam er das Gefühl, die Abstände zwischen den Richtungswechseln würden kleiner. Er kam an eine Weggabelung, also zog er seinen Kompass und korrigierte die Richtung.

 

Der Wald hatte sich verändert. Die Stämme ragten nun weiter hinauf und es drang nur noch wenig Licht hindurch, das die dunkelblaue Farbe der Nacht angenommen hatte. Es wurde kalt und er zog seinen Mantel aus dem Rucksack. Auf dem Pfad lag nun zwar weniger Astwerk, stattdessen hatte sich hier Moos niedergelassen, wodurch der Pfad nur noch schwer zu erkennen war. Sein Rücken schmerzte. Er musste bei normalem Tempo an die dreißig Meilen gelaufen sein.

 

Eine Mulde vor einem Baum, die innen von Moos überwuchert und rundherum von Wurzelwerk verdeckt war, erachtete er als eine gute Übernachtungsgelegenheit. Er schlug einige der Wurzeln ab, machte sich ein Feuer zurecht und aß auf einmal eine ganze Tagesration von seinem Proviant. Außer dem Frühstück hatte er bis zu dieser Rast noch nichts gegessen. Egal wie tief dieser Wald auch sein mochte, rechnete er damit ihn in einem Monat durchquert zu haben. Wenn er seine Geschwindigkeit richtig eingeschätzt hatte, würde er in einem Monat an die zwölfhundert Meilen zurücklegen und er bezweifelte, dass der Wald mehr messen konnte.

 

Die Frage war nur, warum die anderen Reisenden nicht wieder zurückgekommen waren. Entweder hatten sie sich verlaufen, waren gefressen oder vergiftet worden, oder sie hatten das andere Ende erreicht und keinen Ansporn mehr gehabt noch einmal zu diesem Dorf zurück zu kehren. Nun ja, hätten sie einen Grund gehabt dorthin zurück zu kehren, hätten sie sich ja gar nicht erst auf die Reise gemacht. Andererseits war der verfluchte Schatz Ansporn genug gewesen für Rosie’s Vater.

 

Die Nacht war schwarz und kalt. Selbst das Feuer und Bills Mantel konnten ihm gerade so viel Wärme spenden, dass er zwar fror, aber nicht zittern musste. Er entfernte sich einige Schritte vom Feuer, um zu sehen, wie weit man das Licht erkennen konnte. Keine zwanzig Fuß weiter wurde es von der Nacht verschluckt und er machte sich schleunigst daran, wieder dorthin zurückzukehren. Würde er jetzt nicht mehr zu seinem Feuer zurückfinden, hätte er wohl kaum eine Chance, die Nacht lebendig zu überstehen.

 

Bill erwachte, als ein einzelner Sonnenstrahl in sein Gesicht fiel. Ausgeruht war er zwar kaum, doch der wenige Schlaf, den er bekommen hatte, hatte ihm gutgetan. Er packte seine Sachen, und folgte dem Pfad, nachdem er mit seinem Kompass erneut die Richtung überprüft hatte. Er konnte sich keine Fehler erlauben und so wertvolle Zeit und Proviant verschwenden.

 

Der zweite Tag verlief größtenteils wie der Erste. Die Vegetation des Waldes veränderte sich nur unmerklich, durch die dichten Baumkronen schimmerte der blaue Himmel. Der Pfad war nach wie vor moosüberwachsen und das Ausbleiben von etwaigen Tieren und Hindernissen stimmte ihn guter Dinge.

 

Das bedrückende Gefühl des gestrigen Tages hatte er beinahe vollständig abschütteln können. Nur die Moskitos machten ihm zu schaffen. Sie waren noch größer geworden und die Stiche juckten höllisch. Obwohl er den Mantel dieses Mal angelassen hatte, waren sein Hals und das Gesicht den Moskitos schutzlos ausgeliefert.

 

Nach einigen Wegstunden sah er einen weißen Hirsch, der majestätisch durch das Dickicht des Waldes stolzierte. Dieses klare Weiß stand so sehr im Kontrast des sonst schwarz-grünen Waldes, dass das Tier selbst zu leuchten schien. Der Hirsch strahlte vor Licht, als würde er von der Sonne beschienen werden, die jedoch nicht durch das Dickicht zu dringen vermochte. Er neigte den Kopf in Richtung des ungewöhnlichen Störenfrieds und verweilte einen Moment.

 

Dieser Anblick ließ den Reisenden neue Hoffnung schöpfen. Wenn ein so auffälliges, schönes Tier hier, in dieser Finsternis überleben konnte, würde mit Sicherheit auch er einen Weg hindurch finden. Er ging einen Schritt auf ihn zu, all seine Vorsicht vergessend. Aber bevor er sich dem Wesen auf weniger als zwanzig Schritte nähern konnte, trat er auf einen trockenen Ast. Der Hirsch schreckte auf. Bill streckte seine Hand nach ihm aus, auf dass er noch einen Moment länger blieb, doch es war zu spät. Das Tier war bereits in der Dunkelheit verschwunden.

 

Er durfte diesen Wald nicht unterschätzen. Gab es solch fabelhafte Wesen, wie diesen Hirsch, musste auch Anderes anzutreffen sein. Bill dachte an die Wölfe, von denen Joe erzählt hatte. Wie der Hirsch machten die Bäume einen alten und erhabenen Eindruck. Sie waren nicht mehr von der Zeit gekrümmt und gebogen. Unter ihnen fühlte er sich klein und unbedeutend.

 

Der Wald neben seiner Heimatstadt war jünger gewesen, mit nicht annähernd so monumentalen Bäumen, die die Welt auf ihren Schultern zu tragen schienen. Als Kind hatte er sich dort ein Baumhaus gebaut. Er war geschickt im Umgang mit Hammer und Säge - so hatte er sich später sein Geld als Zimmermann verdient.

 

Zu dieser Zeit hatte er auch Elizabeth kennengelernt. Sie war zwei Köpfe kleiner als er gewesen, hatte, wie auch er, schwarz-braune Haare, die ihr bis auf die Hüften herunterfielen. Sie hatte eine eher zierliche Statur gehabt und als Krankenschwester in dem Hospital ihrer Stadt gearbeitet. Sie hatte ein gutes Herz gehabt und war oft von ihrer Arbeit ausgelaugt nach Hause gekommen. Das Übel der Welt hatte ihr oft schwer zugesetzt, schwerer als anderen. Daher hatte es ihn umso mehr gewundert, dass sie sich den Belastungen des Krankenhauses freiwillig aussetzte.

 

Bill machte sich auf die Suche nach einem guten Platz für die Nacht, und auch wenn er dieses Mal keine Mulde finden konnte, machte er es sich an einem besonders großen Baumstamm gemütlich, vor dem er eine kleine Kuhle buddelte, in der er sein Feuer entfachte. Es wurde dunkler und das Grün wich einem tiefen Schwarz. Er hätte die Hände vor den Augen nicht mehr sehen können, wenn er nicht sein Feuer gehabt hätte.

 

***

 

Auch die nächsten Tage gestalteten sich kaum anders als die ersten beiden. Er lief den ganzen Tag, aß seinen Proviant und bereitete sich abends eine Lagerstelle. Nur die Mücken wurden jeden Tag größer. Er musste sich sogar tagsüber seinen schweren Mantel umlegen, weil diese Teufelsviecher durch sein Hemd stachen. Wenn das so weiter ging, dachte er, würde er das Ende dieses gottverlassenen Waldes nur deswegen nicht erblicken, weil ihn diese Moskitos vorher völlig aussaugen würden.

 

Er schätzte, dass er inzwischen an die hundert Meilen zurückgelegt haben musste. Eine gute Bilanz befand er. Wenn es so weiterging, würde er das andere Ende bald erreicht haben, versicherte er sich selbst. Das Licht fiel inzwischen nur noch an einzelnen Stellen durch die Baumkronen und beleuchtete seinen Weg. Doch auch diese einzelnen Strahlen blieben bald aus und er war der Dunkelheit überlassen.

 

Tag und Nacht ließen sich nur noch durch die beißende Kälte unterscheiden, aber wirklich warm war es deshalb tagsüber allerdings noch lange nicht. Er musste eigentlich durchgehend seine Fackel in den Händen halten, um sich nach der Kompassnadel richten zu können. Tag und Nacht vermischten sich und wurden eins, sodass er jegliches Zeitgefühl verlor.

 

Schon bald vermisste er das Gefühl von Sonne auf seiner Haut, Wind in seinen Haaren und etwas Anderem, als dem eintönigen Stapfen seiner Füße im Moos in seinen Ohren. Wie lange war er nun schon in diesem Wald gefangen? Eine Woche? Zwei? Oder sogar noch mehr? Die einzige Veränderung war, dass sich in dem Moos und Wurzelgeflecht Blumen angesiedelt hatten, die zu fluoreszieren schienen. Ihre Farbe war ein tiefes Blutrot. Ihre Blüten waren nicht viel größer als der Knauf seines Messers, doch schimmerten sie so hell und unheilverheißend wie Grablichter.

 

Zusammen mit dem finsteren Blau und Grün wurde der Wald zu einer Leinwand, die violett, blau, rot und grün so vermischte, dass es ein Bild der Traurigkeit und Einsamkeit malte. Er ging weiter durch das Gemälde. Wie viele Stunden wusste er nicht, doch die Richtung stimmte noch. Die Moskitos wurden weniger angriffslustig, sodass er seinen Mantel wieder zurück in seinen Rucksack stopfen konnte.

 

Sein Blick blieb an etwas hängen. Ein paar hundert Schritte voraus konnte er ein helles Leuchten sehen, ähnlich wie das der Blumen - nur heller. Er ging darauf zu. Es leuchtete weiß und rot. Das Licht war von einem Baum verdeckt. Er ging herum. Und sah den Hirsch. Aufgeschlitzt, zerfleischt auf dem Waldboden liegen. Die Gedärme hatten sich um ihn herum verteilt und das Blut hatte eine Lache gebildet. Das Genick schien gebrochen.

 

Bill war entsetzt. Eine einzelne Träne lief seine Wange herab. Der Hirsch war das einzig Schöne in diesem Wald gewesen, das er bis jetzt gesehen hatte. Er fiel auf die Knie und weinte. Wie lange war er schon in diesem Wald gefangen? Wer oder was hatte das hier angerichtet? Und warum hatte es den Hirsch nur getötet und nicht gefressen? Wollte es nur töten? Es blieb nur eine Möglichkeit. Egal was es war, dass diesen Hirsch getötet hatte, es musste eine Verkörperung des Bösen sein, denn nichts mit einem Herz würde es wagen eine so wundervolle Kreatur aus dem Leben zu reißen. Dieser verdammte Wald brachte ihn um den Verstand. Zuerst gab er ihm Hoffnung, nur um sie ihm auf brutalste Art zu entreißen. Er musste weg von hier, raus aus diesem Wald. Wie lange war er hier gewesen? Es schien ihm wie eine Ewigkeit, dass er am Kadaver dieses Tieres saß. Die Zeit verschwamm.

 

Er brachte es nicht über sein Herz, das verendete Tier zu seiner nächsten Mahlzeit zu machen. Er rappelte sich auf und ging weiter. Immer vorwärts. Immer weiter Richtung Osten. Der Wald wurde zunehmend dichter. Bill zupfte sich Spinnweben aus dem Gesicht, während er durch das Dickicht schritt. Wo war er eigentlich? War er hier nicht schon einmal gewesen? Alles sah so gleich aus. Warum war er nur in diesen Wald gegangen? War ihm sein Ziel so wichtig? Hatte er sich am Ende selbst in den Tod stürzen wollen? Warum nur hatte er sich gegen den Rat aller und sogar gegen seinen eigenen Verstand gestellt?

 

Immer weiter vorwärts, bis er nicht mehr war, als ein nicht abreißender Strom aus Gedanken und Fragen, auf die er keine Antwort hatte. Erneut lief er in ein Spinnennetz und wischte die dicken Fäden gleichgültig von seinem Gesicht. Seine Beine trugen ihn, ohne nachzudenken, bis er schließlich an einem Baum zusammenbrach. Nach kurzer Rast schaffte er es gerade noch sich einige Äste zu schlagen, um ein Feuer zu entfachen. So leicht würde er nicht aufgeben und einfach in der Nacht erfrieren. Er aß etwas von seinem Proviant. Er hatte seinen Hunger völlig vergessen.

 

Die Luft drückte. Es war totenstill und kein Lüftchen regte sich. Nur das gelegentliche Knacken seines Feuers störte die Stille. Für seine Ohren hätte es genauso gut ein Pistolenschuss sein können, der die Nacht zerfetzte. Er zwang sich dazu, sich ein wenig auszuruhen, doch egal, wie er sich hinsetzte, immer stach ihm eine Wurzel in den Rücken. Die Nadel seines Kompasses zeigte weiter Richtung Osten. Er blickte starr in Richtung seines Ziels, als ob es dieses näher zu ihm bringen würde. Erst, als er sich wie ein Hund um das Feuer herumkauerte, konnte er zumindest etwas Schlaf finden, den Kompass fest in seiner Hand.

 

***

 

Er schreckte hoch. Sein Feuer war heruntergebrannt, doch es knackte immer noch. Er versuchte etwas in der Dunkelheit zu erkennen, doch sah nichts. Es knackte erneut. Er zückte seinen Revolver. In der Richtung des Knackens sah er einen riesigen Schatten. Er hätte nicht gedacht, dass es tatsächlich möglich war, dass etwas noch schwärzer als die Nacht selbst sein konnte. Die Silhouette einer Spinne schob sich immer weiter zu seinem Lagerplatz. Er feuerte seinen Revolver mit einem lauten Knall ab, doch die Spinne bewegte sich unerbittlich weiter auf ihn zu. Ihre acht Gliedmaßen standen auf abartige, geknickte Weise von ihrem fetten, behaarten Körper ab. Die vielen Augen der Spinne leuchteten in demselben Rot, wie die Blumen, die seinen Weg gespickt hatten. Er feuerte erneut. Keine Reaktion. Der Körper der Bestie musste gepanzert sein. Kein Aufschrei, kein Stoppen. Nichts. Er löste die Axt von seinem Rucksack. Wenn die Präzision seines Revolvers nichts gegen dieses Biest ausrichten konnte, dann vielleicht die rohe Gewalt seiner Axt.

 

Die Spinne rannte nun auf ihn zu. Selbst in der Dunkelheit konnte er die Haare auf ihren Beinen und die Wut in ihren acht Augen sehen. Die Beißklauen an ihrem widerlichen Körper schnellten vor. Er hatte es kommen sehen und wich zur Seite aus. Zu seinem Pech sprang er gegen eins ihrer Beine und ihre Fangzähne kamen ihm gefährlich nahe. Eine farblose Flüssigkeit tropfte an ihnen herab. Gift, vermutete Bill. Er holte mit der Axt aus und schlug zu. Einer der Beißer fiel nutzlos zu Boden. Das Ding schrie gequält auf, als hätte es noch nie einen solchen Schmerz gespürt. Das Biest biss erneut zu, doch dieses Mal konnte er nicht ausweichen. Er spürte keinen Schmerz. Adrenalin hatte seinen Kopf überschwemmt. Er fiel zu Boden und kroch rückwärts. Rechts und links von ihm waren die behaarten Beine der Spinne. Er richtete den Revolver auf die Augen des Biests und drückte ab.

 

Die Spinne schrie erneut, ein markerschütternder Ton, der ihm das Blut gefrieren ließ. Sie fiel auf ihn und er wurde von der Last beinahe erdrückt. Der übrig gebliebene Beißer schnappte noch einige Male vor seinem Gesicht auf und zu. Er musste den Leib mit beiden Händen von sich halten, doch dann erlag das Untier ihren Verletzungen.

 

Mühsam zog er sich unter der Spinne hervor und begutachtete seine Verletzungen. Der Beißer hatte ihn glücklicherweise nur gestriffen, doch das war schon genug, dass sein ganzer Oberarm pochte. Er presste mit seiner Rechten neben der Wunde auf das aufgeplatzte Fleisch, um das Gift herauszupressen. Er schrie auf vor Schmerz. Sein Feuer brannte noch. Er wusste, was er zu tun hatte, und schreckte zugleich davor zurück. Er zog sein Hemd aus und riss den zerfetzten Ärmel ab. Die Klinge der Axt legte er ins Feuer und presste weiterhin die Wunde aus.

 

Als der Stahl glühte, griff er die Axt am Stiel und hielt sie über das Fleisch. Er berührte die Wunde für den Bruchteil einer Sekunde und ließ die Axt wieder fallen. Der Schmerz war zu gewaltig, er konnte es nicht, so sehr es die Situation auch erforderte. Er griff blind nach einem Stock und biss darauf. Er atmete heftig und schluckte.

Die Axt lag schwer in seiner Hand.

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